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Infrarot-Sehen
Einige Schlangenarten können Infrarotstrahlung sehen[1223Ebert, J. (2008). Infrared sense in snakes: Behavioural and anatomical examinations (crotalus atrox, python regius, corallus hortulanus). Unpublished PhD thesis, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.; 1239Bullock, T. H., & Diecke, F. P. J. (1956). Properties of an infra-red receptor. The Journal of Physiology, 134(1), 47–87.]. Sie sehen damit die Wärmestrahlung ihrer Beute und können auch bei völliger Dunkelheit jagen. Diese Schlangen nutzen ihren Infrarotsinn nicht nur zur Jagd, sondern auch um Sonnenplätze zur Thermoregulation[1231Krochmal, A. R., Bakken, G. S., & LaDuc, T. J. (2004). Heat in evolutiontextquoterights kitchen: Evolutionary perspectives on the functions and origin of the facial pit of pitvipers (viperidae: crotalinae). Journal of Experimental Biology, 207(24), 4231–4238.] oder Versteckplätze[1230Sexton, O., Jacobson, P., & Bramble, J. (1992). Geographic variation in some activities associated with hibernation in nearctic pitvipers. In A. Campbell & E. Brodie (Eds), Biology of the pitvipers (pp. 337–345).] zu finden. Es wird gemutmaßt, dass diese deutlich weniger anspruchsvolle Anwendung der evolutionär ursprüngliche Zweck der Infrarotwahrnehmung waren.
Das Infrarotsehen bei Schlangen hat sich evolutionär auf zwei getrennte Arten entwickelt.
Grubenorgan
Vipern nutzen zum Infrarot-Sehen das Grubenorgan. Namensgebend ist das bei der Grubenotter (Crotalinae). Am besten ausgebildet das Infrarot-Sehen bei der Texanischen Klapperschlange (Crotalus atrox).
Anders als das Auge oder eine normale Photokamera besitzt das Grubenorgan keine abbildende Linse. Für langwellige Infrarotstrahlung hat die Natur kein transparentes brechendes Material hervorgebracht. Wärmebildkameras nutzen Linsen aus Germanium oder anderen Halbleitermaterialien. Die Evolution hat für das Grubenorgan ein anderes ebenfalls aus der Photographie bekanntes Abbildungssystem ausgewählt: Die Lochkamera, auch bekannt als “camera obscura”. Die beiden Grubenorgane sind 10 bis 15 mm groß und befinden sich zwischen den Nasenlöchern und den Augen. Durch die etwas kleinere Öffnung wird ein reales Bild der Umgebung auf eine dünne Membran projiziert.
Anders als beim Auge, wo Photorezeptoren die sichtbare Strahlung in ein Nervensignal übersetzten, gibt es im Grubenorgan keine Rezeptoren für die Wärmestrahlung. Die Energie eines Photons mit ca. 10 µm Wellenlänge wäre wohl auch zu gering um ein photochemisches Signal in einem Molekül zu erzeugen. Stattdessen gibt es Rezeptoren für die Temperaturänderung der Membran. Die Membran wird durch die einfallende Wärmestrahlung lokal erwärmt und diese Temperaturänderung durch einen Wärmerezeptor an die Nerven weitergeleitet. Es gibt zahlreiche Wärmerezeptoren, die auf Wärme, aber auch auf chemische Substanzen (z.B. Chilli, Wasabi, Pfeffer, …) mit einen Wärmesignal ans Gehirn reagieren. In der Membran des Grubenorgans wurde der Wärmerezeptor TRPA11) nachgewiesen [1221Gracheva, E. O., Ingolia, N. T., Kelly, Y. M., Cordero-Morales, J. F., Hollopeter, G., & Chesler, A. T., et al. (2010). Molecular basis of infrared detection by snakes. Nature, 464(7291), 1006–1011.], der beim Menschen auch als “Wasabi-Rezeptor” bekannt ist, da er neben Wärme auch auf Wasabi reagiert. Die Rezeptoren reagieren auf 0,001°C Temperaturveränderung der Membran! [1239Bullock, T. H., & Diecke, F. P. J. (1956). Properties of an infra-red receptor. The Journal of Physiology, 134(1), 47–87.]
Die Grubenmembran wird durch Absorption von Wärmestrahlung erwärmt. Anders als bei Photorezeptoren erwartet man daher, dass ein großer Wellenlängenbereich wahrgenommen wird, möglicherweise dominiert die Absorption von Wasser das Wirkspektrum. Wasser absorbiert Infrarotstrahlung mit einer Wellenlänge > 1,5 µm sehr stark. 1956 maßen Bullock & Diecke [1239Bullock, T. H., & Diecke, F. P. J. (1956). Properties of an infra-red receptor. The Journal of Physiology, 134(1), 47–87.] die Nervensignale bei der Bestrahlung (Kohlebogenlampe und Prisma aus kristallinem Steinsalz) von betäubten Klapperschlangen und geben 1.5 µm - 15 µm als Empfindlichkeitsbereich an. Sichtbares Licht und nahes Infrarot bis 1500 nm erzeugen kein Nervensignal. Grace1999 [1247Grace, M. S., Church, D. R., Kelly, C. T., Lynn, W. F., & Cooper, T. M. (1999). The python pit organ: Imaging and immunocytochemical analysis of an extremely sensitive natural infrared detector1this paper was presented at the fifth world congress on biosensors, berlin, germany, 3–5 june 1998.1. Biosensors and Bioelectronics, 14(1), 53–59.] stellen maximale Empfindlichkeit bei 8 µm bis 12 µm und ein zweites, geringeres Empfindlichkeitsband bei 3 µm bis 5 μm fest. Die Grubenmembran hat eine besondere Oberflächenstrukturierung und schillert im sichtbaren Licht auffällig, so dass Licht dieser Wellenlängen nicht absorbiert und damit wahrgenommen werden kann [1249Amemiya, F., Ushiki, T., Goris, R. C., Atobe, Y., & Kusunoki, T. (1996). Ultrastructure of the crotaline snake infrared pit receptors: Sem confirmation of tem findings. The Anatomical Record, 246(1), 135–146.]. Vermutlich eine Anpassung an das Sonnenspektrum, das viel Intensität im Wellenlängenbereich 400 nm - 1,5 µm, etwas im Bereich 1,5 µm - 2,5 µm und einen verschwindend kleinen Rest im Bereich bis zu 4 µm. Die Wärmestrahlung der Sonne wird vom Grubenorgan also nicht wahrgenommen.
In der Grubenmembran der Klapperschlange sind etwa 8000 Nervenenden (TNMs2)) mit TRPA1-Kanälen vorhanden. Bei der Wärmebildkamera FLIR one pro beträgt die Auflösung 80 px × 60 px, also 4800 pixel. Das ist eine vergleichbare Größenordnung, die natürlich nicht an die Megapixel-Auflösung von Kameras aus dem sichtbaren Bereich heranreicht. Die Bilder der Grubenorgane und die Bilder des Auges im Gehirn zusammengeführt [1245Newman, E., & Hartline, P. (1981). Integration of visual and infrared information in bimodal neurons in the rattlesnake optic tectum. Science, 213(4509), 789–791.]. Goris2011 [1243Goris, R. C. (2011). Infrared organs of snakes: an integral part of vision. Journal of Herpetology, 45(1), 2–14.] betont: Infrarotsehen ist kein Sechster Sinn, sondern es kommt ein gemeinsames Bild der beiden Augen und Grubenorgane im Gehirn an. Im Gegensatz zum Auge kann das Grubenorgan nicht isoliert bewegt werden. Schlangen bevorzugen es Bewegungen mit dem ganzen Kopf anstatt nur mit den Augen zu folgen. Dadurch sind der Bildausschnitt des Auges und der Grubenorgane besser korreliert. ( Kohl et al?)
Die Wärme, die in der Membran durch Absorption der Wärmestrahlung erzeugt wird, wird durch ein speziell angepasstes dichtes Kapillarnetz abgeführt. So kann die Membran rasch auf eine sich ändernde Wärmestrahlung reagieren. [1242Amemiya, F., Nakano, M., Goris, R. C., Kadota, T., Atobe, Y., & Funakoshi, K., et al. (1999). Microvasculature of crotaline snake pit organs: Possible function as a heat exchange mechanism. The Anatomical Record, 254(1), 107–115.]
Labialgruben
Pythons und Boas besitzen kein Grubenorgan sondern Labialgruben in den Schuppenreihen entlang der Lippen. Sie gleichen das fehlende Abbildungssystem der Lochbildkamera durch eine größere Anzahl von Sensoren aus. Sie besitzen auch keine Membran sondern die Wärmerezeptoren direkt an der Innenseite der Labialgruben. Die Empfindlichkeit der Infrarotwahrnehmung reicht nicht an die des Grubenorgans heran.
Implikationen für die Terrarienbeleuchtung
In der Natur ist die Wärmestrahlung in zwei große Wellenlängenbereiche konzentriert. (A) Die Wärmestrahlung der Sonne (direkt oder reflektiert) im Bereich 300 nm bis 4000 nm, mit der meisten Intensität im Bereich 400 nm - 1500 nm. Diese Strahlung wird vom Grubenorgan nicht erkannt. (B) Die Wärmestrahlung von warmen Objekten im Bereich von 4,6 µm bis 24,8µm (35°C, Körpertemperatur vieler Tiere) bis maximal 4,3 µm - 23,0 µm (60°C, Oberflächentemperatur von extrem heißen Steinen). Auf diesen Wellenlängenbereich, ca. 8 µm - 12 µm konzentriert sich das Grubenorgan.
Das Infrarotspektrum der meisten Wärmestrahler im Terrarium erstreckt sich aber deutlich weiter in den langwelligen Infrarotbereich (Keramikstrahler, Carbonstrahler) oder hat wesentlich mehr Intensität im langwelligen Infrarotbereich (Glühbirnen) als die Sonne. Ob die Wärmestrahlung von Glühbirnen bei ca. 4-5 µm vom Grubenorgan deutlich wahrgenommen wird, ist für mich nicht ganz eindeutig klar. Die Wärmestrahlung von Keramikstrahler und Elsteinstrahlern liegt aber eindeutig im Wellenlängenbereich, der vom Grubenorgan wahrgenommen wird. Wegen des T4-Gesetzes wird die Wärmestrahlung hier auch deutlich intensiver sein als die Wärmestrahlung von 30°C warmen Objekten: Eine 300°C warme Oberfläche eines Elsteinstrahlers emittiert 7 mal so helle Wärmestrahlung im Bereich um 10 µm wie ein 35°C warmer Gegenstand. Auch bei heat-Panels mit knapp 100°C Oberflächentemperatur ist die Intensität der Wärmestrahlung doppelt so hoch wie bei einer 35°C warmen Oberfläche. Eine 35°C warme Maus vor einem 25°C warmen Hintergrund bedeutet 13% hellere Wärmestrahlung (bei 10 µm). Eine doppelt so hohe oder gar 7-10 mal intensivere Wärmestrahlung könnte eine Herausforderung für die Wahrnehmung von Schlangen sein. Mir sind aber keine Untersuchungen bekannt, ob es praktisch einen Einfluss auf die Tiere hat.
Literatur
Leseempfehlung
• Bullock1956 [1239Bullock, T. H., & Diecke, F. P. J. (1956). Properties of an infra-red receptor. The Journal of Physiology, 134(1), 47–87.], frei zugänglich
• Goris2011 [1243Goris, R. C. (2011). Infrared organs of snakes: an integral part of vision. Journal of Herpetology, 45(1), 2–14.], sehr gut zu lesender Review-Artikel
• Ebert2008 [1223Ebert, J. (2008). Infrared sense in snakes: Behavioural and anatomical examinations (crotalus atrox, python regius, corallus hortulanus). Unpublished PhD thesis, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.], Doktorarbeit mit guter Einleitung, frei zugänglich
LIteraturverzeichnis
[1223] Ebert, J. (2008). Infrared sense in snakes: Behavioural and anatomical examinations (crotalus atrox, python regius, corallus hortulanus). Unpublished PhD thesis, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
[1239] Bullock, T. H., & Diecke, F. P. J. (1956). Properties of an infra-red receptor. The Journal of Physiology, 134(1), 47–87.
[1231] Krochmal, A. R., Bakken, G. S., & LaDuc, T. J. (2004). Heat in evolutiontextquoterights kitchen: Evolutionary perspectives on the functions and origin of the facial pit of pitvipers (viperidae: crotalinae). Journal of Experimental Biology, 207(24), 4231–4238.
[1230] Sexton, O., Jacobson, P., & Bramble, J. (1992). Geographic variation in some activities associated with hibernation in nearctic pitvipers. In A. Campbell & E. Brodie (Eds), Biology of the pitvipers (pp. 337–345).
[1221] Gracheva, E. O., Ingolia, N. T., Kelly, Y. M., Cordero-Morales, J. F., Hollopeter, G., & Chesler, A. T., et al. (2010). Molecular basis of infrared detection by snakes. Nature, 464(7291), 1006–1011.
[1247] Grace, M. S., Church, D. R., Kelly, C. T., Lynn, W. F., & Cooper, T. M. (1999). The python pit organ: Imaging and immunocytochemical analysis of an extremely sensitive natural infrared detector1this paper was presented at the fifth world congress on biosensors, berlin, germany, 3–5 june 1998.1. Biosensors and Bioelectronics, 14(1), 53–59.
[1249] Amemiya, F., Ushiki, T., Goris, R. C., Atobe, Y., & Kusunoki, T. (1996). Ultrastructure of the crotaline snake infrared pit receptors: Sem confirmation of tem findings. The Anatomical Record, 246(1), 135–146.
[1245] Newman, E., & Hartline, P. (1981). Integration of visual and infrared information in bimodal neurons in the rattlesnake optic tectum. Science, 213(4509), 789–791.
[1243] Goris, R. C. (2011). Infrared organs of snakes: an integral part of vision. Journal of Herpetology, 45(1), 2–14.
[1242] Amemiya, F., Nakano, M., Goris, R. C., Kadota, T., Atobe, Y., & Funakoshi, K., et al. (1999). Microvasculature of crotaline snake pit organs: Possible function as a heat exchange mechanism. The Anatomical Record, 254(1), 107–115.
[1240] Kohl, T. 2021, July 24 Klapperschlangen - verhalten und physiologie. Unpublished paper presented at DGHT Stadtgruppe Stuttgart.
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